Zeitenwende in der Marktkommunikation – Neuerungen durch das Messstellenbetriebsgesetz

Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende (GDEW) eine umfassende Neuordnung der Vorschriften für den Bereich des Messstellenbetriebs vorgestellt, durch den der deutschlandweite Einbau intelligenter Messtechnik vorangetrieben wird. Neben komplexen Fragestellungen rund um den Rollout intelligenter Messtechnik, Finanzierungsfragen und möglichen Geschäftsmodellen steht eine umfassende Neuordnung der Marktkommunikation unmittelbar bevor. Das Gesetz ist Anfang Juli 2016 verabschiedet worden, nur das formale Inkrafttreten steht noch aus.
Florian Wagner ist seit 2010 Rechtsanwalt bei Becker Büttner Held Rechtsanwälte Wirtschaftsprüfer Steuerberater in Berlin, mit umfangreicher Vortragstätigkeit im Energierecht und Tätigkeitsschwerpunkten insbesondere im Regulierungsmanagement (geschlossener) Verteilernetze, in der Beratung energieintensiver Unternehmen zu Fragen der Netzentgeltbefreiung und atypischer Netznutzung, Bilanzierung im Stromsektor, Marktkommunikation im EVU sowie umsatzsteuerrechtliche Abwicklung von Netznutzungsrechnungen. 1998 bis 2003 studierte er Rechtswissenschaften an der Freien Universität in Berlin. Ab 2004 schrieb Florian Wagner seine Dissertation zur Einzelfreistellung vom Kartellverbot des Unionskartellrechts. Danach war er als Referendar beim Kammergericht Berlin, unter anderem mit Station in der Kartellrechtsabteilung einer führenden internationalen Anwaltssozietät.
Zählerstandsgangbilanzierung als neuer Regelfall
Tendenziell wird an allen Messstellen (ab 10.000 kWh/a), an denen künftig ein intelligentes Messsystem (also eine an ein Smart-Meter-Gateway angebundene moderne Messeinrichtung) verbaut ist, eine Zählerstandgangmessung und Zählerstandgangbilanzierung durchgeführt werden. Unter Zählerstandgangmessung ist die Messung ¼-stündig ermittelter Zählerstände von elektrischer Arbeit zu verstehen. Das bislang übliche Standartlastprofilverfahren (SLP) sowie die registrierende Leistungsmessung (RLM) werden daher perspektivisch „aussterben“.

Die Zählerstandgangmessung und Zählerstandgangbilanzierung wird damit zum Regelfall der Energiemengenbilanzierung und Netznutzungsabrechnung. Voraussetzung für den Einsatz des neuen Abrechnungs- und Bilanzierungsverfahrens ist eine umfassende Anpassung der aktuellen Marktkommunikation. Aktuell sind die Festlegungen der Bundesnetzagentur (BNetzA) zum Netzzugang Strom (GPKE, WiM, MaBiS, MPES) nicht auf die Kommunikation von Zählerstandsgängen ausgerichtet.
Datendrehscheibe Netzbetreiber wird vom Gateway ersetzt
Das MsbG führt zu einem Paradigmenwechsel bei der Art und Weise der Marktkommunikation. Insbesondere der VNB wird perspektivisch seine Rolle als „Datendrehscheibe“ in der Marktkommunikation verlieren. Anders als heute, wo der VNB im Wege einer Kettenkommunikation Daten entweder selbst erhebt oder von dritten Messstellenbetreibern erhält, aufbereitet und danach an die berechtigten Marktteilnehmer weitergibt, sieht die zukünftige Marktkommunikation eine sternförmige Kommunikation direkt aus dem Smart-Meter-Gateway an alle Datenberechtigten vor.
ÜNB führt Netzbilanzierung durch
Die größte künftige Anpassung betrifft die Netzbilanzierung. Anders als heute, wo der VNB für sein Bilanzierungsgebiet Energiemengen auf unterschiedliche Bilanzkreise aggregiert verteilt, soll diese Aufgabe zukünftig im Bereich intelligenter Messsysteme vom ÜNB vorgenommen werden. Für herkömmliche Messeinrichtungen (Ferrariszähler etc.) und moderne Messeinrichtungen (die gerade noch keine ¼-Stunden-Werte liefern) soll der VNB allerdings weiterhin für die Netzbilanzierung zuständig sein.

Perspektivisch führt diese Aufgabenverteilung zu einer hybriden Verantwortlichkeit für die Netzbilanzierung. Die ÜNB werden ihre Energiedatenmanagementsysteme (EDM) so erweitern müssen, dass sie überhaupt in die Lage versetzt werden, die neue Aufgabe durchführen zu können. Auch die VNB müssen nach wie vor ein EDM betreiben, bis deutschlandweit überall intelligente Messsysteme eingebaut sind. Da das Gesetz für Letztverbraucher bis inklusive 6.000 kWh Jahresverbrauch lediglich den Einbau moderner Messeinrichtungen als Pflichtprogramm vorsieht, dürfte die hybride Verantwortlichkeit mittelfristig andauern. Der Aufbau einer hybriden Netzbilanzierung ist – vorsichtig formuliert – jedenfalls fragwürdig, da bestehende Systeme weitergefahren werden müssen und ein Parallelsystem bei den ÜNB aufgebaut werden muss. Des Weiteren ist nicht erkennbar, warum das eingeübte System der Netzbilanzierung durch die VNB (teilweise) durch die Tätigkeit der ÜNB abgelöst werden soll. Ein volkswirtschaftlicher Nutzen ist nicht zu erkennen.
Es besteht die Notwendigkeit, die ÜNB überhaupt in die Lage zu versetzen, eine Netzbilanzierung durchzuführen. Die Netzbilanzierung erschöpft sich nicht in der Aggregation von Daten aus Smart-Meter-Gateways. Vielmehr setzt die Aggregation entsprechender Energiewerte pro Bilanzkreis voraus, dass der ÜNB die Zählpunktzuordnungen zu den Bilanzkreisen kennt. Aktuell hat er dieses Wissen nicht; nur die VNB verfügen über die Information, welcher Kunde welchem Bilanzkreis zugeordnet ist. Beim VNB kommt diese Information organisch über die Lieferantenwechselprozesse an. Entsprechende Kundenzuordnungen müssen dem ÜNB zukünftig ebenfalls mitgeteilt werden. Dabei geht es nicht um einen einmaligen Prozess, vielmehr muss der ÜNB laufend über alle Kundenwechsel im Rahmen der Lieferantenwechselprozesse der GPKE informiert werden. Die Schaffung einer neuen – potenziell fehleranfälligen – Schnittstelle wird notwendig; alternativ ist ein Prozess „Bilanzkreiswechsel“ erstmalig in die Marktkommunikation einzuführen.

Der Übergang zur sternförmigen Kommunikation: Das Interimsmodell der BNetzA
Die Überarbeitung der Marktkommunikation lässt sich nicht von heute auf morgen bewerkstelligen. Verbändearbeit und Festlegung durch die BNetzA werden nicht unter drei Jahren umgesetzt werden können. Da der Zeitraum vom Inkrafttreten des Gesetzes bis zum Beginn des Rollout (Mitte 2016 bis Anfang 2017) hierfür naturgemäß viel zu kurz ist, hat der Gesetzgeber eine Regelung geschaffen, wonach die BNetzA Festlegungen dazu treffen kann, dass die sternförmige Marktkommunikation bis maximal Ende 2019 ausgesetzt wird (Interimsmodell).
Aktuell laufen Arbeiten am Interimsmodell über eine Projektgruppe von BDEW und VKU, die sich zum Ziel gesetzt hat, rechtzeitig zum Start des Rollout auf Basis der aktuell gültigen Marktkommunikationsvorgaben minimale Prozessänderungen vorzunehmen, um die Kommunikation von Zählerstandsgängen gewährleisten zu können. Auch das Interimsmodell wird nicht zu unterschätzende Eingriffe in die IT-Systeme der Energieversorgungsunternehmen nach sich ziehen. Sowohl Messstellenbetreiber als auch VNB und Lieferanten werden bereits im Hinblick auf das Interimsmodell ihre IT-Systeme ertüchtigen müssen.
Schöner Artikel zur Neuordnung der Marktkommunikation der Energieversorger. Der Paradigmenwechsel hin zu einer sternförmigen Kommunikation ohne Datenverarbeitung Dritter ist wirklich zu begrüßen. Meiner Meinung nach sollte alles für eine nachhaltigere Stromversorgung getan werden.