Welche Disruptionen werden uns in nächster Zeit überraschen?

Während vor einigen Jahren in Deutschland noch kaum jemand das Wort „Disruption“ kannte, wird dieses Phänomen jetzt fast täglich in den Medien thematisiert. Was hat sich in den letzten Jahren verändert? Wir haben im Interview mit Dr. Jens-Uwe Meyer nach Antworten gesucht.
Dr. Jens-Uwe Meyer ist Geschäftsführer der Innolytics GmbH. Sein Unternehmen entwickelt digitale Beratungsprozesse, um das Know-how von Kunden- und Unternehmensberatern zu digitalisieren. Herr Meyer ist außerdem Autor zahlreicher Bücher zum Thema Innovation.
Im Herbst 2016 erscheint sein neues Buch „Digitale Disruption – Die nächste Stufe der Innovation“. Im exklusiven Interview verrät er, welche Branchen seiner Meinung nach am stärksten von der Disruption betroffen sind und was der größte Fehler von Unternehmen im digitalen Zeitalter ist.
Die omnipräsente Disruption
Herr Dr. Meyer, warum ist das Thema Disruption aktuell in aller Munde?
Unternehmen und der Öffentlichkeit ist bewusst geworden, dass Digitalisierung nicht einfach nur eine planbare langsame Veränderung darstellt, sondern die Art, wie Wirtschaft funktioniert, grundlegend verändert. Es hat einige Zeit gedauert, bis bei der bloßen Transformation analoger Geschäftsmodelle ins Internet ein wirkliches Denken in digitalen Geschäftsmodellen einsetzte. Zudem werden Auswirkungen der digitalen Disruption immer sichtbarer. Der Einzelhandel verliert spürbar an Umsatz, Berufsbilder verschwinden und digitale Unternehmen erobern mit einer komplett neuen Denkweise ganze Märkte.
Kooperationen mit Startups
Traditionelle Unternehmen arbeiten immer häufiger mit Startups zusammen, um ihre Agilität wiederzugewinnen und auch neue, junge Zielgruppen zu erreichen. Ist das die einzige Lösung für etablierte Unternehmen, um im digitalen Zeitalter zu überleben?
Ich warne davor, die eigene Innovationsfähigkeit zu vernachlässigen und alles auf die Kooperation mit Startups zu setzen. Startup-Kooperationen sind so etwas wie ein Koffeinschub. Kurzfristig fühlt man sich dynamisch und innovativ, doch an der grundsätzlichen Verfassung ändert es nichts. Startups spielen eine wichtige Rolle: Sie zeigen traditionellen Unternehmen, wie Entwicklungen schnell vorangehen und wie Ideen in kürzester Zeit zur Marktreife gebracht werden können. Doch sie verfolgen immer ein Eigeninteresse. Wirkliche innovative Durchbrüche schaffen Unternehmen nur dann, wenn sie ihre eigene Innovationsfähigkeit steigern. Dazu müssen alte Strukturen und Denkweisen aufgebrochen werden, mutige Visionen formuliert und Ressourcen investiert werden.
Robotics, Künstliche Intelligenz und Co.
Während die einen die neuen Errungenschaften feiern, haben andere große Angst vor dieser Entwicklung. Wie wird sich unsere Arbeitswelt in zehn Jahren verändern oder besser gesagt, müssen wir uns vor Robotern fürchten?
Roboter und Algorithmen (Automatisierung betrifft auch Wissensarbeiter) werden überall dort menschliche Arbeit ersetzen, wo es leicht standardisierbare Tätigkeiten gibt. Auch die manuelle Eingabe und Abfrage von Daten wird mehr und mehr automatisiert werden. So ist der klassische Versicherungssachbearbeiter heute eigentlich schon ein Auslaufmodell. Es gibt bestimmte Tätigkeitsprofile, die es in zehn Jahren so wie heute nicht mehr geben wird. Angst ist aber hier ein schlechter Ratgeber. Zum einen werden Roboter und Algorithmen einen großen Teil unseres demografischen Problems lösen. Viele Unternehmen haben heute bereits Schwierigkeiten damit, qualifizierten Nachwuchs zu finden. Hier werden Tätigkeiten automatisiert werden, für die sich heute nur wenige Menschen finden. Dann wird es aber auch Menschen betreffen, die heute 35 oder 40 Jahre alt sind und deren Tätigkeitsprofil automatisiert werden kann. Hier ist es wichtig, sich durch ständige Fortbildung und Qualifikation weiterzuentwickeln.
Rückblick Disrupt 2016
Die Disruption von Morgen
Selbstfahrende Autos, Pakete ausliefernde Drohnen und ein Nahrungsmittel bestellender Kühlschrank, all dies ist den meisten Menschen schon bekannt. Doch gibt es auch Technologien, die kaum jemandem kennt, die jedoch in den nächsten fünf bis zehn Jahren für uns so alltäglich werden wie das Smartphone?
Das ausgerechnet autonome Autos, Drohnen und der selbstbestellende Kühlschrank so bekannt sind, hat einen wesentlichen Grund: Es sind anfassbare Innovationen. Der größte Teil der digitalen Disruption geschieht dort, wo es niemand bemerkt. Es sind Algorithmen, die in einem Rechenzentrum irgendwo auf der Welt ablaufen und dort Berechnungen ausführen. Der Kunde selbst bemerkt diese Algorithmen nicht, er bemerkt lediglich verbesserte Funktionen. Dass beispielsweise das Smartphone heute ungefragt meldet, wie weit der Weg zum nächsten Termin im Kalender ist, ist eine technologisch sehr komplexe Angelegenheit. Dass algorithmen-gesteuerte Assistenten wie Alexa von Amazon heute bereits recht komplexe Fragen beantworten können, ist ebenfalls ein kleines technisches Wunderwerk. Es werden vor allem Entwicklungen dieser Art sein, die die nächsten Jahre maßgeblich prägen. Für die Öffentlichkeit lohnt es sich häufiger einmal dort hinzublicken, wo spannende Entwicklungen jenseits der massenmedientauglichen Beispiele stattfinden.