Production Systems: 20 Jahre Innovation und Fortschritt

Der Lean-Experte Ralph Winkler ist seit vielen Jahren Moderator der Konferenz und kennt die Production Systems wie kein anderer. Im Interview hat er uns verraten, wie sich die Rolle des Menschen im Laufe der Zeit verändert hat und wieso die Teilnahme an der Konferenz sich besonders jetzt lohnt.
Die Production Systems hat sich nunmehr seit 20 Jahren zur Leitveranstaltung der Produktion entwickelt. Warum sollte man sich die Teilnahme nicht entgehen lassen?
Mich fasziniert an der Production Systems, dass neben der nachweislich hohen fachlichen Kompetenz zu Lean-Themen auch eine tolle Atmosphäre des Austauschs und der Gemeinschaft entstanden ist. Viele Teilnehmer kommen regelmäßig, sodass die PS auch eine Art von Netzwerktreffen geworden ist.
Gerade in den letzten fünf Jahren hat die Konferenz noch mehr an Breite gewonnen: Es werden nun mehr Branchen (beispielsweise die Prozessindustrie, der Anlagenbau etc.) und weitere Fachgebiete (HR und Personalentwicklung, Controlling, IT, R&D etc.) angesprochen. Das zeigt, wie sehr sich die Lean-Thematik verbreitet hat und dass diese Methoden relevanter sind denn je.
Lean mit Leib und Seele
Wie hat sich die Rolle des Menschen in der Produktion im Laufe der Zeit aus Ihrer Sicht verändert?
Eine Organisation kann niemals besser sein als die Menschen, die die Organisation bilden. Hier spielen die Fähigkeiten und Motivation der Menschen eine wesentliche Rolle. Diese gezielt zu aktivieren und entwickeln ist eine Kernaufgabe von Führung, so gibt es im Lean-Umfeld einen klaren Trend zu mehr Mitarbeiterentwicklung.
Während vor 20 Jahren doch eher die Werkzeuge und Methoden im Fokus standen. Auch wenn Toyota schon immer den Mitarbeiter als höchstes Gut gepriesen hat, war es für die Lean-Community praktikabler als erstes die vermeintlich einfacheren Instrumente zu kopieren und anzuwenden; mit durchaus guten Erfolgen.
Nach und nach stellte sich dann heraus, dass wir für mehr Begeisterung und Nachhaltigkeit eher die Herzen und Köpfe der Menschen in der Organisation erreichen müssen und haben Ansätze gesucht und gefunden, die dabei helfen. Auf der PS hat seit geraumer Zeit dieses Thema deshalb einen größeren Stellenwert bekommen indem wir Firmen mit ausgezeichneter Personalentwicklung, Beteiligung und Erkenntnisse aus der Lean-Forschung zu diesen Themen teilen lassen.
Welche Auswirkungen sehen Sie durch die zunehmende Digitalisierung auf Lean Management?
Das ist eigentlich einfach:
Wie geht die Reise mit den neuen Technologien weiter? Worauf kommt es an, damit deutsche Unternehmen im globalen Wettbewerb bestehen?
Deutschland hat einen starken Mittelstand und traditionell jede Menge tolle, hochwertige physische Produkte. Weil Deutschland hier so stark ist, hat sich Japan früh auf Prozessoptimierung gestürzt und die Amerikaner und Chinesen verlegen sich auf Dienstleistung und Services im Internet. Aus Leansicht sind tolle Produkte, die funktionale Mehrwerte für Kunden schaffen und deren Probleme lösen, kein schlechter Ansatz! Das ist eine anerkannte Stärke, die Deutschlands Industrie auf keinen Fall verlieren darf.
Da Kunden neben der Funktion auch hohe Qualität, niedrige Preise und kurze Lieferzeiten erwarten, wäre ein stärkerer Fokus auf Prozessdesign und Optimierung wünschenswert: Make Prozessverbesserung great again!
Die 10 wertvollsten Unternehmen der Welt kommen aus den USA sowie aus China und stammen fast ausschließlich aus den Bereichen der Digitalwirtschaft und Services. Der Schwerpunkt ist also weniger physische als virtuelle Produkte im Sinne von begehrenswerten digitalen Prozessen zum Beispiel Amazons eleganter Produktfindeservice und hocheffizienter Bestellvorgang bis zur Lieferung. Facebook bedient unser Bedürfnis nach Verbundenheit mit anderen Menschen und ist ein „Klatsch und Tratsch“-Service. So etwas als werthaltiges Geschäftsmodell zu sehen erscheint uns in Deutschland als regelrecht unlauter. Ich hoffe wir können uns das aneignen, ohne anderes über Bord zu werfen.
Neue Technologien erfordern Mut
Hier können wir mehr Mut zu ambitionierten Zielen gebrauchen, die revolutionäre bessere Ergebnisse ermöglichen. Als Beispiel sei hier auf „The Boring Company“ verwiesen, die sich zum Ziel gesetzt hat die Baukosten für Straßentunnel um den Faktor 10 zu senken. Was auf den ersten Blick größenwahnsinnig aussieht, erscheint nach genauerer Betrachtung und erster Erfolge der Firma nun durchaus plausibel, auch wenn Faktor 10 wohl nicht eingehalten wird. Die Firma verwendet das Prinzip des „First Principle“ aus der Physik, um eine Aufgabe in Grundprinzipien zu zerlegen, diese infrage zu stellen und von da aus neue, um Klassen bessere Weg zu finden.
Viele Innovationen stammen aus Deutschland, oft lehnen wir uns aber zurück sobald das Problem gelöst ist. In anderen Ländern wird dann daraus ein funktionierendes Geschäftsmodell gemacht. Ich hoffe dass wir in Deutschland zu den Themen Industrie 4.0 und Künstliche Intelligenz nicht nur tolle Einzellösungen präsentieren, sondern Wege finden dazu weltweite Geschäftsmodelle zu etablieren.
Mut in diesen Feldern meine ich.
Was erwartet uns bei der Konferenz im nächsten Jahr?
Wir arbeiten schon jetzt daran internationale und nationale Hochkaräter zum Thema Lean als Referenten zu gewinnen. Neben Vorträgen wird es interaktive Elemente und jede Menge Erkenntnisse zur Anwendung daheim geben.
Rückblick Production Systems 2019
Ralph Winkler ist Geschäftsführer in der Lean Partners Projekt Gesellschaft und Fachmann für das Toyota-Produktionssystem. Schwerpunkt seiner Arbeit ist Training und Begleitung von Managementteams bei der Einführung der Coaching- und Verbesserungskata. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem Zielableitungsprozess Hoshin Kanri (policy deployment). Ralph Winkler begann seine Karriere im Bereich Simulation und Fabrikplanung am Fraunhofer Institut (IPA) in Stuttgart. Danach war er fünf Jahre Leiter der Fertigungsplanung bei einem Automobilzulieferer und zuständig für die Entwicklung und Einführung des dortigen Produktionssystems.