Menschliche Leistung in der Mensch-Maschinen-Kollaboration

- 1.Eckhard Eyer über neue Wege beim Leistungsentgelt in der Industrie 4.0
- 2.Industrie 4.0: Manteltarifverträge müssen auf den Prüfstand findet Eckhard Eyer
- 3.Die Leistungskennzahlen in der Industrie haben sich gewandelt
- 4.Industrie 4.0 – eine Herausforderung für Geschäftsführungen und Betriebsräte
- 5.Industrie 4.0: Leistungskennzahlen mit Algorithmen generieren [Gastbeitrag]
- 6.Leistungsentgeltmethoden im Umbruch?
- 7.Moderne Fabrik und Lean: Mitarbeiterführung in der mobilen Arbeitswelt
- 8.Hat das Leistungsentgelt in der Industrie 4.0 ausgedient?
- 9.Flexibilität in der Industrie 4.0
- 10.Menschliche Leistung in der Mensch-Maschinen-Kollaboration
- 11.Overall Equipment Effectiveness und Arbeitsproduktivität als Kennzahlen moderner Produktionsunternehmen
- 12.KPI zur Messung von Leistung: Wertschöpfung je Stunde
- 13.Zuschläge und Prämien: Darauf sollten Sie bei der Entgeltpolitik achten
Mensch-Maschinen-Kollaborationen ermöglichen enorme Effizienzgewinne. Im Rahmen der Vergütung sollten sich Unternehmen die Frage stellen, wer für die gestiegene Produktivität entlohnt wird. Eckhard Eyer bewertet für Sie die Situation neu. In seinem Gastbeitrag gibt er uns einen umfassenden Einblick, welche Fragen jetzt für Sie relevant sind.
Gruppenarbeit mit dem Kollegen Robi
Bei der Lektüre von Fachzeitschriften zum Thema Industrie 4.0 und Arbeit 4.0 ist häufig vom „Kollegen Robi“, dem Roboter, die Rede, wenn es um die Mensch-Maschine-Kollaboration geht. Nicht selten wird bei der Mensch-Roboter-Kollaboration auch von einem Dreamteam gesprochen, weil die Fähigkeiten von Mensch und Roboter sinnvoll kombiniert werden. Zusammen erreichen beide mehr, als jeder alleine zustande bringen könnte. Die Arbeit von Robotern, die das Transportieren von schweren Lasten gut beherrschen, kombiniert mit der Geschicklichkeit und der Flexibilität des Menschen, ist genial. Ebenso vorteilhaft ist es, die Arbeitsfähigkeit und Ausdauer von Menschen durch die Zusammenarbeit mit dem „Kollegen Robi“ zu erhöhen und damit die Qualität und Produktivität zu steigern. Im zweiten Schritt stellt sich die spannende Frage, wessen Leistung zur Produktivitätssteigerung führt: Die Leistung des Mitarbeiters oder die des Roboters. Management und Betriebsräte aber auch die Mitarbeiter interessiert, welchen Anteil von der Wertschöpfungssteigerung im Geldbeutel der Mitarbeiter ankommt und welcher im Geldbeutel des „Kollegen Robi“ bzw. seines Eigentümers?
Wer macht die Arbeit, wer erbringt die Leistung?
Bei dieser Fragestellung sind drei typische Fälle zu unterscheiden.
Wer verdient das Leistungsentgelt?
Der erste Fall ist mit dem Einsatz einer neuen Maschine zu vergleichen, die aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit eine Verdopplung des Outputs erlaubt. Die Vorgabezeit hat sich halbiert. Der Mitarbeiter kann problemlos die anfallende Arbeit an zwei Maschinen erledigen, also eine Mehrmaschinentätigkeit ausführen. Die Leistung des Mitarbeiters – gemessen als Arbeitsproduktivität (die Summe der Gutstücke multipliziert mit der Vorgabezeit und dividiert durch die Anwesenheitszeit) hat sich nicht verändert. Die doppelte Gutstückzahl und die halbierte Vorgabezeit neutralisieren sich.
Im zweiten Fall hat der Roboter die Ausdauer des Menschen erhöht, die Zeiten der Regeneration und der Erholung während der Arbeitszeit sind kürzer geworden, die Vorgabezeit reduziert sich beispielsweise um den Anteil der Ruhephase. Auch hier verkürzt sich die Vorgabezeit. Die Arbeitszeit kann produktiver genutzt werden, aber die Produktivität erhöht sich nicht, weil sich auch in diesem Fall die erhöhte Stückzahl und die verkürzte Vorgabezeit neutralisieren.
Im dritten Fall programmiert und betreut der Mitarbeiter den Kollegen Robi und optimiert dessen Leistung kontinuierlich hinsichtlich der Qualität der Produkte (Qualitätsgrad) und der Gesamtanlageneffektivität (OEE). Seine Arbeitszeit ist weitgehend von der Betriebszeit der Anlage entkoppelt. Der Mitarbeiter fasst praktisch kein Produkt an und beeinflusst trotzdem durch seine menschliche Leistung den Output der Maschine bzw. den der Prozesse, indem er die Belegung der Maschine optimal plant, Störungen vermeidet und den Anteil der „verlorenen Takte“ reduziert. Seine Leistung liegt zum einen in der Vermeidung von Störungen durch die Erhöhung der Prozesssicherheit und zum anderen in der nachhaltigen Verbesserung der Prozesse und Verkürzung der Prozesszeiten. Die Folge ist eine Erhöhung der Gesamtanlageneffektivität.
In den beiden ersten Fällen liegt der Fokus der Betrachtung von Arbeit und Leistung der Mitarbeiter auf dem Handling der Produkte. Der Einsatz des Kollegen Robi führt zu kürzeren Vorgabezeiten. Der höhere Output führt aufgrund der reduzierten Vorgabezeit nicht automatisch zu einer höheren Arbeitsproduktivität. Im Gegenteil, beide Faktoren neutralisieren sich. Die Steigerung der Wertschöpfung – bei gleicher menschlicher Leistung – führt nicht zu einem höheren Leistungsentgelt, das heißt die zusätzliche Wertschöpfung basiert auf der Leistung des Kollegen Robi. Er – bzw. sein Eigentümer – bekommt die zusätzliche Wertschöpfung.
Im dritten Fall ist es die Aufgabe des Mitarbeiters die Leistung des Kollegen Robi zu verbessern, das heißt die Wertschöpfung zu steigern. Diese Steigerung der Wertschöpfung kann, durch den Vergleich des Outputs mit dem Input, gemessen und als Wertschöpfung je Arbeitsstunde ermittelt werden. Die nachhaltige Steigerung der Wertschöpfung je Arbeitsstunde, über einen längeren Zeitraum hinweg, ist das Maß für die Leistung dieses Mitarbeiters, der durch sein menschliches Zutun die Leistung des Roboters erhöht. Eine Variante der Leistungskennzahl ist die Erhöhung der Wertschöpfung bezogen auf die verfügbare Maschinenkapazität (Schichtplan). In beiden Fällen kann die Verbesserung der Leistung des Arbeitssystems durch den Mitarbeiter mit einem Gainsharing oder mit Zielvereinbarungen und Zielentgelt honoriert werden.
Fazit
Die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine als Dreamteam und die Leistungserwartung an beide müssen klar formuliert werden. Es sind aussagefähige Leistungskennzahlen zu definieren, welche die Veränderungen der Parameter Vorgabezeit und erarbeitete Stückzahl angemessen berücksichtigen. Die Erhöhung der Wertschöpfung bedeutet nicht automatisch eine Erhöhung der menschlichen Leistung und damit des Leistungsentgeltes. In den beiden ersten Fällen ist die Ermittlung der Arbeitszeit für die Produktionsmitarbeiter eindeutig zu ermitteln und die Arbeitsproduktivität zu berechnen.
Im dritten Fall besteht die menschliche Leistung in der Verhinderung von verlorenen Takten und der Verbesserung der Prozesse. Dies kann auch bei einer gewissen zeitlichen Entkopplung der
Arbeitszeit des Mitarbeiters von der Laufzeit der Maschine geschehen. Ebenso bei einer räumlichen Entkopplung von Mitarbeiter und Roboter. Hier kann die vertraglich geschuldete Arbeitszeit die Basis zur Ermittlung der Leistung des Mitarbeiters, gemessen an der Leistung des Arbeitssystems, sein. Mit dieser Entwicklung bekommt das Leistungsentgelt zunehmend den Charakter einer Ergebnis- oder Erfolgsbeteiligung.
Eckhard Eyer studierte Maschinenbau in Kaiserslautern und Betriebswirtschaftslehre in Mannheim. Nach Stationen in der Industrie arbeitete er von 1989 bis 1997 im Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e. V. (IfaA) in Köln, im Fachbereich Entgeltgestaltung. Er ist Inhaber der Perspektive Eyer Consulting, Köln, mit dem Arbeitsschwerpunkt: Beratung bei der Gestaltung und Umsetzung von Führungs- und Entgeltsystemen, insbesondere von Leistungsentgeltsystemen. Er begleitet Unternehmen von der Problemstellung über die gemeinsame Projektgruppenarbeit von Management und Betriebsrat bis hin zum Abschluss der Betriebsvereinbarung und der Schulung von Führungskräften und Mitarbeitern.