Verschwendung vermeiden: Lean Prinzipien im Projektmanagement

Verschwendung in Form von Zeit, Kosten und Ressourcen ist im Projektmanagement leider keine Seltenheit. Aber muss das wirklich sein? Heike Fiestas, Expertin für Prozess- und Projektmanagement, hat uns im Interview verraten, wie Sie Verschwendung in Projekten vermeiden können. Lesen Sie, wie Sie die größten Verschwendungstreiber identifizieren und wie Sie mit Fehlern umgehen können.
Heike Fiestas ist freiberufliche Trainern und Beraterin für Prozess- und Projektmanagement in Stuttgart. Seit mehr als 20 Jahren berät und trainiert sie in diesen Themen mit dem Schwerpunkt auf Qualitäts- und Lean Management.
Aktuell leitet sie ein Change-Projekt im Rahmen des umfassenden Optimierungsprogramms eines europäischen Energieversorgungsunternehmens und bietet außerdem Lean Trainings über verschiedene Seminaranbieter an. In ihrer Qualifizierungsarbeit setzt sie simulationsbasiertes Training erfolgreich ein.
Die 5 Lean Prinzipien in Projekten
Frau Fiestas, kann man die klassischen Lean Prinzipien, die viele wohl vor allem aus dem Produktionsbereich kennen, so einfach auf das Projektmanagement anwenden?
Die 5 Lean Prinzipien, die Womack und Jones in ihrem Buch „Lean Thinking“ erstmals beschrieben haben, sind: Wert – Wertstrom – Fluss – Zug – Perfektion. Diese sind Grundprinzipien einer jeden Leistungserstellung. Sie gelten für die Produktion von physischen Produkten und sind ebenso gültig für die Erstellung von Leistungen in Geschäftsprozessen oder Projekten.
„Wert“ bedeutet im Projekt, den Wert des Projektergebnisses für den Kunden als Maßstab für Aufbau, Management und Aktivitäten im Projekt zu machen. Daraus leitet sich das zweite Prinzip ab, das bedeutet, den Projektablauf als „Wertstrom“ zu verstehen und verschwendungsfrei zu gestalten. Zentral im Lean Management ist das „Flussprinzip“. Folgt man diesem, wird man die Arbeitspakete entlang der Wertschöpfung so definieren, dass Iterationen, Warteschlangen, Wartezeiten und Engpässe vermieden werden. Das „Zugprinzip“ bedeutet, dass Projektleistungen nur erstellt werden, wenn sie gebraucht werden. Und schließlich hält uns das Prinzip der „Perfektion“ dazu an, neben der Entwicklung und Erstellung der Projektleistungen auch den Prozess und die Menschen ständig weiterzuentwickeln.
Verschwendung gibt es auch in Projekten
Wie erkenne ich die größten Verschwendungstreiber in meinem laufenden Projekt?
Verschwendungen im Projekt entstehen durch mangelnde Ausrichtung am Kundenwert und durch Hindernisse im Projektfluss. Um sie zu erkennen, können wir wieder einen Klassiker heranziehen. Die sieben Arten der Verschwendung: Überproduktion, Bestände, Warten, Suchen, Unnötiger Transport, Fehler und Nacharbeit, Überbearbeitung.
Diese Kategorien helfen uns hier gezielt nach Verschwendung zu suchen. Zum Beispiel gehört die Übererfüllung von Spezifikationen zur Kategorie „Überbearbeitung“ und erzeugt Verschwendung dadurch, dass Arbeitszeit für Dinge eingesetzt wird, die der Kunde nicht erwartet und nicht bezahlen wird.
Um Verschwendungstreiber in einem laufenden Projekt zu erkennen, sollte man sich die Zeit nehmen, eine abgeschlossene Projektphase auf Verschwendung zu analysieren, die Ursachen zu ergründen und Verbesserungen für die kommende Phase abzuleiten.

Zusätzlich muss man, da jede kommende Phase andere Inhalte und Rahmenbedingungen haben wird als die vorangegangene, vorrauschauend Verschwendung antizipieren und Vermeidungsmaßnahmen ergreifen.
Sagen Sie Verschwendungstreibern den Kampf an
Frau Fiestas, wie gehe ich im Anschluss mit den identifizierten Verschwendungstreibern um?
Jede Verschwendung hat eine Ursache. Diese gilt es zu finden und zu beseitigen. Ein besonderes Augenmerk liegt hier auf Strukturen, Ablauforganisation und Zusammenarbeitskultur. Es geht hier vor allem um Verschwendung, die daraus entsteht, dass zum Beispiel Entwicklungsleistungen nicht abgestimmt erarbeitet werden, Testergebnisse nicht für die Weiterentwicklung genutzt werden, Informationen über Schnittstellen hinweg verloren gehen oder dass Fehler verschwiegen werden, bis sie auffallen. Dieses zu verhindern, ist ein Ziel von Lean im Projektmanagement.
Visuelles Führen im Projektmanagement
Sie zählen unter anderem das visuelle Führen zu den Erfolgsfaktoren von Lean Projektmanagement. Wie funktioniert das?
Visuelles Management schafft die Transparenz im Projekt, die man braucht, um ständig über den aktuellen Stand im Klaren zu sein und Entscheidungen fundiert treffen zu können. Toyota hat dazu im Entwicklungsprojekt zum Modell Prius schon in den 1990er Jahren den sogenannten Obeya geschaffen.
Ein Obeya ist ein großer Raum, in dem alle für das Projekt relevanten Dinge visualisiert sind: Ziele, Produktvision, Zeitpläne, Grafen mit den Schlüsselkennzahlen, auch Hardware und die Themen zur Entscheidungsvorbereitung.

Und um letzteres geht es ja: Mit Hilfe des visuellen Managements können die Entscheider sich schnell ein umfassendes Bild vom Status des Projektes machen und ohne Verzögerungen die notwendigen Entscheidungen treffen.
Vorteile einer positiven Fehlerkultur
Das Thema Fehlerkultur wird ja zurzeit viel und oft diskutiert. Wie wichtig finden Sie einen positiven und offenen Umgang mit Fehlern und warum?
Fehler bieten immer eine Chance auf Verbesserung. Deshalb ist der offene Umgang mit ihnen so wichtig. Nur wenn man die Fehler nennt, kann man sie auf ihre Ursachen untersuchen und ihre Wurzeln eliminieren. Der positive Umgang mit Fehlern bedeutet für die meisten Menschen einen Kulturwandel. Um diesen zu erreichen, sehen wir im Lean Management Fehler nicht als persönliches Versagen, sondern als Ergebnis von Ungereimtheiten im Prozess. Diese können wir dann herausfinden und beseitigen. So können Prozesse kontinuierlich verbessert werden.
Mit der „SPACE ROVER I“ zum Perspektivwechsel
Lassen Sie uns zum Schluss noch kurz über die Projekt-Simulation „SPACE Rover I“ sprechen. Sie vermitteln den Teilnehmern in Ihrem Seminar an diesem praktischen Beispiel den Perspektivwechsel durch das Lean Thinking. Was hat es damit auf sich?
Mit der Projektsimulation „SPACE Rover I“ schaffe ich in dem Seminar eine praxisähnliche Situation, in der die Teilnehmer die verschiedenen Rollen in einem Produktentwicklungsprojekt wahrnehmen, wie Konstrukteur, Softwareentwickler, Prototypenbauer oder Versuchsingenieur. Sie starten mit einer nicht optimalen Ausgangssituation, die durch eine Funktionalorganisation gekennzeichnet ist und verbessern diese durch die Anwendung der Lean Prinzipien und Methoden. Der Perspektivwechsel geschieht von der vertikalen Funktionalsicht hin zur horizontalen Flussperspektive.