Industrie 4.0 wird die Arbeitswelt zum Positiven verändern

Dr. Markus Große Böckmann ist Gründer, Gesellschafter und Geschäftsführer der oculavis GmbH, einem Aachener Software Start-up mit 17 Mitarbeitern, das Anfang 2016 gegründet wurde. Das Ziel des Unternehmens ist die digitale Transformation von Produktions- und Serviceprozessen mit mobilen Geräten wie Smart Glasses, Tablets und Smartphones. Das Hauptprodukt ist die Softwareplattform SHARE, die als Kollaborations- und Prozessplattform im Service und der Produktion eingesetzt wird.
Nach der Erfahrung von Dr. Markus Große Böckmann gehört zum Unternehmenserfolg vor allem Herzblut. Im Interview hat er uns verraten, wie sich das Umfeld in der Produktion und der Arbeitsplatz in Fabriken verändern wird – zu Gunsten des Menschen.
Dr. Markus Große Böckmann stieg nach seinem Studium des Wirtschaftsingenieurwesens an der RWTH Aachen im Jahr 2009 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT ein. Mit der Zwischenstation einer Gruppenleitung übernahm er 2013 die Abteilung Produktionsqualität mit 25 Mitarbeitern. Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte lagen in den Themenfeldern Digitalisierung und IKT in der Produktion sowie Industrie 4.0. Anfang 2016 erfolgte dann der Wechsel in die oculavis GmbH.
Herzblut ist die Grundvoraussetzung für unternehmerischen Erfolg
Herr Dr. Große Böckmann, wie würden Sie Ihre Laufbahn beschreiben?
Ich bin Unternehmer aus Leidenschaft. Als sich mir im Jahr 2015 die Möglichkeit bot ein vielversprechendes Digital Start-up aufzubauen, war die Entscheidung schnell gefallen. Zu dem Zeitpunkt war ich noch bei Fraunhofer tätig und hatte seit 2014 meine Promotion im Maschinenbau abgeschlossen. Mit Forschung habe ich nun nicht mehr so viel am Hut, auch wenn wir mit der oculavis GmbH der Partner für das Thema Augmented Reality bei den beiden größten europäischen Forschungsprojekten zum Thema Smart Maintenance, PROPHESY und SERENA, sind.
Sie haben aus der Fraunhofer-Gesellschaft ein Spin-Off gegründet – die oculavis GmbH. Was ist der Vorteil in einem Start-up Themen weiter zu verfolgen und nicht bei Fraunhofer?
Fraunhofer bietet ein sehr agiles und innovatives Umfeld. Dennoch sind die Mitarbeiter dort – bedingt durch die Finanzierungsstrukturen – häufig Einzelkämpfer in ihren Disziplinen. Eine kritische Masse an Ressourcen wird leider selten erreicht, um Themen bis zur Reife zu treiben. Nur wenn sich jemand ein Thema mit Herzblut greift und weiterentwickelt, hat es die Chance weiterzukommen. Und das funktioniert eben eher in einem Industrieunternehmen, in dem man auch die unternehmerische Freiheit als Gründer hat. Zudem hat Fraunhofer nicht die Möglichkeiten, die entsprechenden professionellen Servicestrukturen wie Industrieunternehmen bereitzustellen. Für mich war klar: Wenn meine Kollegen und ich mit den Themen Smart Glasses, Augmented Reality und Remote Service wirklich Erfolg haben wollen, bleibt nur eine Ausgründung!
Der B2B-Markt folgt anderen Regeln als der B2C-Markt
Wie hat sich das Umfeld in der Produktion im Rahmen von Industrie 4.0 verändert?
Die Produktion hat sich bisher noch gar nicht so viel verändert. Vielmehr hat der Begriff zahlreiche Industriebetriebe für das Thema der Digitalisierung sensibilisiert. Der Consumermarkt hat vorgemacht, wie kleine Start-ups die schwerfälligen Platzhirsche innerhalb weniger Monate verdrängt haben. Das hat zunächst einmal aufgeschreckt. Neue Geschäftsmodelle haben die Art und Weise, wie wir beispielsweise Taxis buchen oder miteinander kommunizieren, schlagartig verändert.
In B2B-Sektoren sind solche Geschäftsmodelle bisher jedoch noch nicht wirklich vorgedrungen. Unternehmen sind sehr vorsichtig, Ihre Kundenschnittstelle bereitwillig aufzugeben, wie dies bei den B2C-Märkten in denen Unternehmen wie Uber, Amazon und Spotify agieren, geschehen ist. Daher ist das Thema Geschäftsmodelle aus meiner Sicht auch nur ein vorübergehender Hype, der nicht jede Branche breit erfassen wird, sondern eher an einzelnen Punkten zu Tage tritt. Aber: Der Begriff Industrie 4.0 treibt Industriebetriebe dazu, Ihre Prozesse zu überdenken und insbesondere mit mobilen Endgeräten zu digitalisieren und zu optimieren. Und das ist gut so, um im Wettbewerb erfolgreich zu bleiben.
Welche Entwicklungen wird es noch geben, was erwartet uns in den nächsten 10-20 Jahren?
Für Produktionsunternehmen ist relativ eindeutig, dass Wissen aus Daten extrahiert werden kann. So wandelt sich die produzierende Industrie zunehmend von prozess- zu datengetriebenen Fertigungsunternehmen. Dieser Prozess wird noch andauern. Im Bereich der Arbeitsplätze wird voraussichtlich in fünf bis sechs Jahren nahezu jeder Arbeitsplatz mit digitalen Medien ausgestattet sein, die eine teilautomatisierte Erfassung von Arbeitsabläufen oder intuitive Unterstützung des Werkers bieten. Je nach Arbeitsplatz werden dies Smart Glasses, Watches oder andere interaktive Devices sein. Ich glaube übrigens, dass die Arbeitsplätze dadurch einfacher und angenehmer werden. Auch geringer Qualifizierten werden Interfaces geboten, die sie vom Smartphone oder dem Smart TV von zu Hause kennen. Ihre lenkende Funktion wertet Ihre Jobs am Ende auf. Wir erleben eine Bereicherung der Arbeit durch digitale Medien.
Durch Industrie 4.0 wird jeder seinen Platz finden
Werden wir in modernen Fabriken noch Menschen sehen? In wieweit wird sich der Arbeitsplatz der Zukunft verändern?
Der Mensch wird noch mehr im Mittelpunkt der Produktion stehen als bereits heute – und zwar als Denker und Lenker. Das ist eine gute Entwicklung! Wir werden dadurch keine Arbeitsplätze verlieren, sondern komplexe Aufgaben für Hochqualifzierte hinzugewinnen und durch intuitive Interfaces auch steuernde Aufgaben für weniger Qualifizierte ermöglichen! Die Menschen werden in Serienproduktionen insgesamt vielleicht weniger, aber auf der anderen Seite braucht es Menschen, die diese Technologien bereitstellen. Wir befinden uns wie bereits seit der ersten Industriellen Revolution neben einer technischen auch in einer gesellschaftlichen Weiterentwicklung. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt ohne Frage, dass uns Technologien in unserem Lebensstandard immer weitergebracht haben. Natürlich gibt es zentrale Herausforderungen wie den Klimawandel, Fragen der Migration und der gesellschaftlichen Qualifikation. Aber mit Technologien sind das Themen, die wir lösen können!