FuckUp-Nights: Warum Deutschland eine neue Fehlerkultur braucht

Über das Scheitern spricht man nicht? Falsch! Bei den FuckUp-Nights wird das Scheitern als Show zelebriert. Denn aus Fehlern kann man lernen! Angefangen hat das Ganze in Mexiko-Stadt und hat sich innerhalb nur weniger Jahre in der ganzen Welt verbreitet. Es scheint so, als habe die Menschheit es leid, nur Erfolgsgeschichten zu hören.
Irren ist menschlich – nur nicht in Deutschland?
Vor allem in Deutschland scheint man ein großes Problem mit Misserfolgen zu haben. Bereits unser Schulsystem ist darauf ausgelegt, keine Fehler zu machen. Die Schülerinnen und Schüler werden nach Fehlern benotet und nicht nach dem, was sie gewagt haben.
Auch die Bürokratie Deutschlands ist so aufgebaut, dass es Gescheiterten schwer fällt wiederaufzustehen. Denn der Schufa-Eintrag verhindert selbst Jahre nach einer Insolvenz, dass eine Bank weitere Kredite ausstellt. Selbst das Unterschreiben eines Handyvertrags oder das Wechseln des Stromanbieters wird für insolvente Unternehmer zum Problem.

Gescheiterte werden stigmatisiert
Zu diesen bürokratischen Problemen kommt häufig auch noch die Verachtung der Menschen hinzu. Manchmal entscheiden sich gescheiterte Unternehmer sogar, aus der Heimatstadt auszuziehen, weil sie von der Bevölkerung wegen ihres Scheiterns stigmatisiert werden. Attila von Unruh, einst selbst mit einer Eventagentur gescheitert, hat deswegen den ersten „Gesprächskreis Anonymer Insolvenzler“ gegründet. Dort treffen sich Unternehmer, Freiberufler und Gründer, um über ihr Scheitern im geschlossenen Raum zu sprechen. Nicht selten bricht ein Teilnehmer in Tränen aus, weil ihn die Pleite so sehr belastet.
Diese Belastung könnte gehemmt werden, wenn Deutschland eine andere Fehlerkultur annehmen und auch die Banken anders mit Misserfolgen von Gründern und Unternehmern umgehen würden.
Die etwas andere Therapie-Sitzung
Diesen Gedanken haben auch viele Organisatoren der sogenannten FuckUp-Nights (FUN). Bei dieser Veranstaltung treffen sich Unternehmer, um öffentlich über ihre Misserfolge zu berichten. Doch nicht nur Unterhaltung steht auf der Tagesordnung. Andere sollen von den Fehlern der Gescheiterten lernen, um nicht dieselben zu begehen. Außerdem dienen FuckUp-Nights für einige, die vorne auf der Bühne stehen, auch als Therapie. So erzählte Patrick Wagner, der eine Million Euro mit seiner Plattenfirma Kitty-yo verloren hat, dass er erst durch seinen Vortrag bei der FUN verstanden hat, dass nicht andere, sondern er selbst für das Scheitern verantwortlich war: „Es lag an meiner Arroganz und an meiner Angst davor, für meine Firma echte Verantwortung zu übernehmen.“
Der Ursprung der FuckUp-Nights
Entstanden ist die Idee in Mexiko. Ein paar Freunde unterhielten sich in kleiner Runde über ihre unternehmerischen Erfahrungen – darunter auch die Misserfolge. Am Ende des Gesprächs stellten alle Beteiligten fest, dass sie sich viel besser fühlten und der Austausch sehr hilfreich und befreiend gewirkt hat. So planten die Freunde ein weiteres Treffen, doch mit mehr Freunden und Bekannten. Die FuckUp-Night war geboren! Und sie verbreitete sich wie ein Lauffeuer auf der gesamten Welt. Mittlerweile finden diese Veranstaltungen in über 252 Städten statt, darunter auch in Düsseldorf, Frankfurt und Berlin sowie auch kleineren Städten wie Gütersloh.
Zweitgrößte FUN weltweit in Frankfurt
In Frankfurt am Main fand Anfang 2016 die bis dahin zweitgrößte FuckUp-Night der Welt statt. 1.000 Menschen versammelten sich in der Goethe Universität und hörten Geschichten über das Scheitern von beispielsweise Christian Lindner, Bundesvorsitzender der FDP. Nur in Mexiko-Stadt sind mehr Menschen zu einer FuckUp-Night erschienen. Normalerweise liegt die Zahl der Besucher bei durchschnittlich 150 bis 300 Personen.
Hier einige Redner der deutschen FuckUp-Nights:
Christian Lindner über sein Scheitern
Florian Hofmann über sein Smartphone-Bezahlsystem Paij.
Christoph Kruse über den privaten Radiosender 90elf.
Holger Heinze über sein E-Commerce Startups für Nachhaltigkeit, monagoo.
Albert Pusch über ein Marketing Projekt und sein Immobilien Startup (Simmobi).
Wenke Gillner-Fiedler über einen Online-Store und hindernde Umstände.
Doch wie genau verläuft eine FUN?
Weltweit ist das Vorgehen der Events relativ ähnlich: Drei oder mehr Speaker erzählen an einem Abend, wie sie ihr Unternehmen in den Sand gesetzt haben. Der Vortrag soll dabei nur zehn bis fünfzehn Minuten dauern und mindestens drei Lessons enthalten, aus denen die Zuschauer etwas lernen können, denn wer scheitert, der lernt auch dazu. Oft sind die Themen und Geschichten bewegend, aber meistens auch sehr komisch. Nicht selten wird ein Taschentuch dazu verwendet, die Lachtränen aus dem Gesicht zu wischen. Nach dem Vortrag gibt es auch immer eine Fragerunde. Alles in allem handelt es sich um eine lockere Atmosphäre, wo auch gerne das ein oder andere Bier getrunken wird.
Hinfallen, aufstehen, Krone richten und weitergehen
Dass einmaliges Scheitern nicht gleichzeitig bedeutet, immer wieder zu scheitern, zeigen prominente Beispiele aus Politik und Wirtschaft: Der eben erwähnte Christian Lindner, Xing-Gründer Lars Hinrichs und auch die Samwer-Brüder. Daher ist es umso wichtiger, dass Deutschland eine andere Fehlerkultur entwickelt, um weiterhin Erfolge zu feiern. Denn im schnellen Zeitalter der Digitalisierung gehöre das Potenzial des Scheiterns dazu. Nur mit Risikobereitschaft können Innovationen und auch Erfolg erschaffen werden. Hat man jedoch so große Angst vor dem Scheitern, sodass nichts Neues ausprobiert wird, dann ist das gleichzusetzen mit Stillstand. Und diesen will wohl keiner.
Das Konzept der FuckUp Nights scheint zu funktionieren. Anders als Banken reagieren beispielsweise Business Angels anders auf Niederlagen. Seit Patrick Wagner öffentlich über Misserfolge spricht, werde er vermehrt von diesen angesprochen.
Digitalisierungs-Report 2018
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