Digitale Transformation: Verlassen Sie liebgewordene Trampelpfade

Johann Hofmann tritt als Gastgeber für eine Führung durch die mechanische Fertigung der Maschinenfabrik Reinhausen im Rahmen unserer Veranstaltung Industrie 4.0 LIVE vor Ort auf. In diesem Gastbeitrag hat er uns verraten, wie Digitale Transformation in der Fertigung gelingt und welche Grundvoraussetzungen dafür nötig sind und welche Gefahren er sieht.
Johann Hofmann Dipl.-Ing. (FH), arbeitet seit Abschluss seines Maschinenbaustudiums im Jahre 1989 für die Maschinenfabrik Reinhausen GmbH. Bereits nach zwei Jahren übernahm er die Leitung der NC-Programmierung. In dieser Funktion begann Herr Hofmann die Daten- und Informationsflüsse papierlos zu systematisieren. Nach nahezu 20-jähriger Detailarbeit war diese revolutionäre Lösung entwickelt und industrieerprobt. Johann Hofmann wurde mit seiner Innovation zum einem der Architekten und Wegbereiter der 4. industriellen Revolution, er holte 2013 den ersten INDUSTRIE 4.0 AWARD für die Maschinenfabrik Reinhausen nach Regensburg.
Sie beschäftigen sich schon seit vielen Jahren mit dem Thema Digitalisierung. Was bedeutet die Digitalisierung für Sie?
Für viele Unternehmen bedeuten bereits papierlose Prozesse den Eintritt in das digitale Zeitalter. Die digitale Transformation geht einen Schritt weiter, denn mit ihr ändert sich ein Prozess grundlegend und neue Geschäftsmodelle verdrängen ältere. Erst wird der Prozess papierlos (Digitalisierung), dann ändert sich der Prozess, weil nun Dinge möglich werden, die vorher nicht funktionierten.
Digitale Transformation ist mehr als das!
Die Digitale Transformation erfordert zudem eine hohe Datenqualität in allen betroffenen Sub-Systemen. Damit die digitale Transformation in der diskreten Fertigung gelingen kann, müssen zum einen im ERP-System alle Fertigungshilfsmittel gepflegt sein und zum anderen müssen alle Informationen digital und fehlerfrei in den vorgelagerten Systemen (Werkzeugdatenbank, NC-Datenbank, etc.) gepflegt sein. Papierunterlagen beziehungsweise Kopfwissen der Mitarbeiter verhindern Automatismen wie die Datenanreicherung und sind im Sinne von Industrie 4.0 nicht mehr zeitgemäß.
Die Maschinenfabrik Reinhausen hat für ihre Strategie zur Smart Factory einen eigenen Geschäftsbereich ValueFacturing® eingerichtet. In diesem haben wir ein selbst entwickeltes Assistenzsystem stetig weiterentwickelt und verbessert, welches die intelligente Vernetzung aller am zerspanenden Fertigungsprozess beteiligten Anlagen, Systeme und Personen ermöglicht. Ziel dabei ist es, wesentliche Herausforderungen von Industrie 4.0 und die damit verbundenen Optimierungspotenziale umzusetzen. Mit diesem Assistenzsystem ValueFacturing® konnten wir 2013 den ersten vergebenen INDUSTRIE 4.0 Award gewinnen.
Welche Herausforderungen müssen Sie mit dem Geschäftsbereich ValueFacturing® in diesem Prozess der Digitalisierung meistern?
Die Digitalisierung eines historisch gewachsenen Maschinenparks gleicht einem Häuserkampf der Maschine für Maschine gewonnen werden muss. Die große Digitalisierungsbegeisterung in den 90 Jahren während und nach der CIM-Euphorie (Computer-Integrated Manufacturing) hat dazu geführt, dass fast jeder Anwenderwunsch durch eine Sonderprogrammierung gelöst wurde. Dadurch entstanden in jeder Fabrik unterschiedliche Prozesse für teilweise ansonsten gleiche Arbeitsschritte. Durch die Einführung von Lean konnte zwar ein Teil dieser Sonderlösungen wieder aufgelöst und standardisiert werden. Den bis heute verbliebenen großen Rest dieser firmenspezifischen Prozesse versuchen nun viele Firmen in die digitale Welt zu überführen. Das wird aus folgenden zwei Gründen scheitern:
INDUSTRIE 4.0 gelingt deshalb nur dann, wenn man liebgewordene Trampelpfade verlässt und standardisierte Best Practice Lösungen übernimmt. Im Sinne der Update-Fähigkeit, bei stark steigender Softwaredurchdringung aller Bereiche einer jeden Firma, wäre jedes andere Vorgehen langfristig ohnehin zum Scheitern verurteilt. In diesem Sinne benötigen zu allererst alle Akteure von Industrie 4.0 ein standarisiertes industrielles M2M-Kommunikationsprotokoll.
Meine vorrangige Erwartungshaltung gegenüber Industrie 4.0 ist deshalb folgende:
Alle Hersteller von vernetzungsfähigen Produkten einigen sich auf eine einheitliche Sprache wie zum Beispiel OPC UA oder MTConnect. Meine Erwartungshaltung ist, dass sich UPC UA durchsetzt. Unter dieser Prämisse entstehen zeitnah einheitliche OPC UA Parametersätze, die die jeweiligen fachspezifischen Rahmenbedingungen abdecken. Darauf aufbauend kann dann Software entwickelt werden, die durch „Plug and Produce“ (einstecken und produzieren) zum Laufen gebracht wird. Als Beispiel kann die Druckerinstallation dienen. Unter Windows XP oder früher war eine Druckerinstallation immer eine spannende Aufgabe.
Zu Zeiten von Windows 10 konfiguriert sich ein neu angesteckter Drucker vollkommen selbst. Das wünsche ich mir für Werkzeugmaschinen!
Zusätzlich hat sich jedoch regelmäßig gezeigt, dass es entscheidend ist, zugleich die „E-Skills“ der Mitarbeiter zu entwickeln. Andernfalls verhindern sie, dass der nötige Organisations- und Kulturwandel parallel zum technischen Wandel stattfinden kann.
Der Mensch hat weiterhin Einflussmöglichkeiten
Wie sieht für Sie die digitale Fabrik der Zukunft aus und welche Rolle wird Ihrer Meinung nach der Mensch einnehmen?
Der Mitarbeiter 4.0 wird auch als Augmented Operator bezeichnet. Gemeint sind dabei Mitarbeiter, die IT-basierte Assistenzsysteme nutzen, um ihre Sicht auf die Fabrik zu erweitern. Der Mensch behält dadurch ganz bewusst eine zentrale Rolle in allen relevanten Abläufen der Smart Factory.
Assistenz geht der Autonomie voraus und befähigt den Menschen zu besseren Entscheidungen. Selbst bei zukünftig vollständig autonomen Systemen (beispielsweise selbstfahrende Autos) ermöglicht ein Assistenzsystem dem Menschen zahlreiche Einflussmöglichkeiten. Auch wenn das autonome Fahren in greifbare Nähe rückt, ist die autonome Fabrik (menschenleere Fabrik beziehungsweise Roboter, die Roboter bauen) für eine lange Zeit noch utopisch.