Deutschland vs. Österreich! Was muss man bei der Arbeitszeit beachten?

Der deutsche Markt gesättigt, die gläserne Umsatzdecke scheinbar erreicht, der Wunsch nach Vergrößerung dennoch oder vielleicht gerade deshalb vorhanden. Früher oder später stellen sich viele mittelständische Unternehmen die Frage, ob nicht eine Niederlassung jenseits der deutschen Staatsgrenzen lohnend sein kann. Eine nicht unerhebliche Hürde stellt dabei oftmals die Sprache dar, es sei denn, man denkt über das nicht nur in sprachlicher Hinsicht naheliegende Nachbarland nach: Österreich. In der arbeitsrechtlichen Beratungspraxis sind die arbeitszeitgesetzlichen Regelungen eine der größten Herausforderungen für Personalabteilungen.
Branco Jungwirth studierte an der Universität Wien Rechtswissenschaften und war von 2006 bis 2010 Mitarbeiter der Rechtsanwaltskanzlei Griesser | Gerlach | Gahleitner. Nach Absolvierung der Rechtsanwaltsprüfung im Herbst 2010 gründete er gemeinsam mit Roland Gerlach mit Anfang 2011 die Kanzlei GERLACH Rechtsanwälte. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt im Arbeitsrecht. Im Zuge seiner Tätigkeit vertritt er sowohl die Interessen von Arbeitnehmern als auch von Arbeitgebern. Für Management Circle leitet er das Seminar Arbeitsrecht Österreich aus der Länderreihe Arbeitsrecht.
A. So nah und doch ein wenig fern…
Gleichnamig dem deutschen Arbeitszeitgesetz (dArbZG) bildet das österreichische Arbeitszeitgesetz (öAZG) die Rahmenbedingungen für Arbeitgeber. In der Namensgebung noch ident, lassen sich dennoch einige wichtige Unterschiede entdecken:

VS

- Tägliche Arbeitszeit
- Deutschland – max. 8 Stunden
10 Stunden bei Durchrechnung (6 Monate/24 Wochen) ohne Überschreitung der 8 Stunden oder wenn der Tarifvertrag es vorsieht - Österreich – max. 10 Stunden
Überschreitungen möglich (Schichtarbeit, Arbeitsbereitschaft, öffentlicher Verkehr, Apotheken, aufgrund eines Kollektivvertrags)
- Deutschland – max. 8 Stunden
- Ruhepausen
- Deutschland – 30 Minuten (6 – 9 Stunden Arbeitszeit); 45 Minuten (> 9 Stunden Arbeitszeit),
Aufteilung auf 15-Minuten-Einheiten möglich - Österreich – 30 Minuten (> 6 Stunden Arbeitszeit),
Aufteilung auf 15-Minuten oder 10-Minuten-Einheiten möglich
- Deutschland – 30 Minuten (6 – 9 Stunden Arbeitszeit); 45 Minuten (> 9 Stunden Arbeitszeit),
- Ruhezeit
- Deutschland – 11 Stunden,
um 2 Stunden reduzierbar (bei Erforderlichkeit und Ausgleich) - Österreich – 11 Stunden,
um 3 Stunden reduzierbar (durch Kollektivvertrag)
- Deutschland – 11 Stunden,
- Sonn- und Feiertagsruhe
- Deutschland – Beschäftigungsverbot an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen,
Ausnahmen direkt im dArbZG geregelt (Not- u Rettungsdienst, Krankenhäuser, Gaststätten, Vergnügungseinrichtungen, Landwirtschaft, Versorgung, etc.) - Österreich – nicht im öAZG geregelt, Verbot in anderen Gesetzen
Ausnahmen durch zahlreiche Einzelgesetze und Verordnungen (Reinigung, Instandhaltung, Bewachung, Beförderung, Gastronomie,…)
- Deutschland – Beschäftigungsverbot an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen,
B. Arbeitszeitgesetz – that’s it?
Der aufmerksame Leser hat wahrscheinlich schon eines erkannt: Der Rechtsanwender in Österreich läuft bei bloßem Blick ins öAZG Gefahr, Vorschriften zu verletzten oder Potential ungenützt zu lassen. So finden sich verstreut über die Rechtslandschaft Gesetze, Verordnungen und Erlässe, die Abweichendes vom öAZG ermöglichen. Dabei darf jedoch vor allem nicht das österreichische Gegenstück zum deutschen Tarifvertrag vergessen werden, der „Kollektivvertrag“.
Dieser ist eine Vereinbarung für eine bestimmte Branche, ausverhandelt von der Gewerkschaft auf Arbeitnehmerseite und der Wirtschaftskammer auf Arbeitgeberseite. Zahlreiche Bestimmungen finden sich in diesen (derzeit 859 gültigen) Kollektivverträgen, darunter auch Abweichungen vom öAZG zu Gunsten und zu Lasten der Arbeitnehmer. Ist der Abdeckungsgrad von Tarifverträgen in Deutschland mit 55% im europäischen Vergleich nicht sonderlich hoch, liegen österreichische Kollektivverträge mit der Erfassung von 95% aller Dienstverhältnisse im Spitzenfeld. Dies erklärt auch die entsprechend höhere Bedeutung von Kollektivverträgen in Österreich.
Beispiele an Sonderlichkeiten aus den Kollektivverträgen:
- Kollektivvertrag für den Handel
- Verbot der Beschäftigung an zwei hintereinander folgenden Samstagen
- unterschiedliches Ausmaß von Überstundenzuschlägen je nach Lage der Arbeitszeit (30%, 50%, 70%, 100%)
- Möglichkeit der Durchrechnung der Arbeitszeit in einem Zeitraum von 26 Wochen
- Kollektivvertrag für Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe
- bei erhöhtem Bedarf sind 15 Überstunden pro Woche möglich
- tägliche Arbeitszeit bis zu 12 Stunden bei 4-Tage-Woche
- Durchrechnung in Saisonbetrieben ohne Vereinbarung
- Kollektivvertrag für das Bewachungsgewerbe
- tägliche Arbeitszeit über 12 Stunden möglich
- wöchentliche Arbeitszeit über 60 Stunden möglich

C. Warum Kenntnis über die Arbeitszeitbestimmungen so wichtig ist…
Jene Arbeitgeber, die sich im Dschungel der österreichischen Arbeitszeit zurechtfinden, profitieren davon doppelt: Zum einen können im Rahmen des Arbeitsvertrages Vereinbarungen getroffen werden, die erst durch Kollektivverträge ermöglicht werden, wie zum Beispiel Verlängerung von Durchrechnungszeiträumen, Ersparnis von Überstundenzuschlägen durch Zeitausgleich oder Einführung alternierender Dienstpläne. Zum anderen schützt die Einhaltung von Arbeitszeit- und Arbeitsruhebestimmungen von nicht zu unterschätzenden Verwaltungsstrafen. Die Bandbreite der Sanktionen liegt hier bei EUR 72,– bis zu EUR 3.600,– pro Anlassfall, je nach Schweregrad der Übertretung.
Unwissenheit schützt auch hier vor Strafe nicht, weshalb jeder Arbeitgeber gut beraten ist, am besten bereits in der Planungs- und Anlaufphase externe Expertise in Anspruch zu nehmen. So wird das Vorhaben „Niederlassung in Österreich“ definitiv eines: erfolgreich.
Bilder: moonrun | de.fotolica.com, Maksym Yemelyanov | de.fotolia.com
Super :)))